Vier Jahre nach dem antisemitischen Angriff auf dem Haus der Burschenschaft Normannia wird der Fall im Berufungsprozess neu verhandelt. Nachdem 2022 drei Burschenschafter, darunter ein ehemaliger Normanne, verurteilt worden sind, ging der Rest in Berufung.
Hier könnt ihr unsere Prozessberichte lesen:
Einordnung des Urteils des Landgerichts
Am 26.09. endete die zweite Runde im Normannia-Prozess. Wir gehen momentan nicht davon aus, dass die Angeklagten Revision einlegen – somit wäre zumindest auf der juristischen Ebene das Nachspiel der Ereignisse vor 4 Jahren, die die Normannia maßgeblich zu Fall brachten, beendet.
Dass die Berufung verworfen wurde, ist für uns zwar angesichts der Wut der rechten Burschenschafter und ihrer Szene-Anwälte eine kleine Genugtuung, aber kein Grund zu feiern.
Speziell für uns als Kampagne gegen den Wiederaufbau der Burschenschaft Normannia bringt uns das Urteil nicht zwangsläufig unserem Ziel näher. Da wir uns nicht darauf ausruhen, dass der „demokratische Rechtsstaat“ den Kampf gegen Faschist:innen in der notwendigen Konsequenz führt, war von Anfang an klar, dass der Prozess für uns primär zur Informationsgewinnung beitragen würde – und selbst das nur bedingt, da wir keine Aussage von Angeklagten und Zeug:innen ohne weiteres glauben können. Dass bei diesen etliche Verbindungen zu oder Mitgliedschaften in der AfD, ihrer Jugendorganisation oder ihrem aktionistischerem Vorfeld in der „Identitären Bewegung“ bestehen, war wenig überraschend. Im Prozess kamen diese allerdings nur als Randnotizen vor. Der explizite Selbstanspruch der Burschenschaften als Elite der Nation passt ideal zum Chauvinismus, Rassismus und Sexismus der AfD.
Zuletzt müssen wir feststellen, dass das öffentliche Interesse am Fall Normannia nach 4 Jahren merklich abgenommen hat. Das ist verständlich und geht auch an uns nicht vorbei: das Ziel der Kampagne ist zwar nach wie vor klar, doch durch die schwer einsehbaren Strukturen des Altherrenvereins ist es für uns schwierig, nächste Schritte zu planen. Uns bleibt daher nur übrig, die Augen und Ohren offen zu halten, wachsam zu sein und – sollte sich etwas tun – bereit zu stehen, unser Ziel wieder in Angriff zu nehmen.
Wir stellen daher unsere öffentlichen Aktivitäten bis dahin ein. Sämtliche digitale Infrastruktur bleibt erhalten, wir sind weiterhin für Informationen erreichbar und werden uns unserem Ziel nähern, sobald sich eine Möglichkeit dafür ergibt.
Prozesstag 4: 26.09.2024
Urteilsverkündung: Das Landgericht Heidelberg hat heute im Normannia-Komplex das Urteil gesprochen: Die Berufung wird auf Kosten der Angeklagten verworfen. Damit wird das Urteil des Amtsgerichts, das Luis S. und Maximilian H. 2022 zu jeweils 8 Monaten Haft, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung, verurteilt hatte, bestätigt. Binnen einer Woche können sie Revision einlegen.
Eine Einordnung des Urteils und des letzten Prozesstages folgt in Kürze.
Prozesstag 3: 24.09.2024
Das Urteil wird am Donnerstag, 26.09., um 10:30 am Landgericht Heidelberg gesprochen.
Prozesstag 2: 19.09.2024
Am 19.09., dem zweiten Verhandlungstag im Normannia-Prozess, trat als erster Zeuge der Geschädigte Philipp S., Mitglied der Landsmannschaft Afrania, auf, der am 28.08.2020 mit Gürteln geschlagen, mit Münzen beworfen und antisemitisch beleidigt wurde. Dieser widersprach mit seinen Ausführungen wenig überraschend den Erklärungen, die die Angeklagten am Montag abgegeben hatten. Während Philipp S. seine Aussagen machte und Fragen beantwortete, lachte Luis S. immer wieder. Das „Gürteln“ als – wie die Angeklagten und einige Zeugen beschreiben – bei den Normannen angeblich gängiges Ritual habe der Geschädigte nicht gekannt – es habe im Nachgang des Vorfalls einen „Wikipedia-Edit-Krieg“ gegeben, indem Alte Herren der Normannia versucht hätten, das „Gürteln“ mit einem Artikel nachträglich zu legitimieren.
Prozesstag 1: 16.09.2024
Am 16.09. begann vor dem Heidelberger Landgericht der Berufungsprozess im Fall des antisemitischen Angriffs auf dem Haus der Burschenschaft Normannia vor 4 Jahren.
Auf den Aufruf von Antifaschist*innen, den Prozess kritisch zu begleiten, reagierte das Landgericht mit strengen Einlasskontrollen – so mussten alle Besucher*innen beim Einlass in den Verhandlungssaal ihren Personalausweis abgeben und durften keinerlei elektronische Geräte mit hinein nehmen. Mehrfach wurden darüber hinaus willkürlich Schlüssel, Bücher und Geldbeutel einbehalten, in mehreren Fällen wollten die anwesenden Polizist*innen sogar Notizbücher einbehalten, was abgewendet werden konnte. Die Demonstration von Macht und Einschüchterung von anwesenden Antifaschist*innen und anderer Besucher*innen war offensichtliches Ziel der Maßnahmen.
Vor Gericht erschienen nur noch zwei Angeklagte: Luis S. wurde von Max Bartusch begleitet, Maximilian Hunze hatte mit Andreas Schoemaker und Mattis Mayer gleich zwei rechte Szene-Anwälte dabei.
Lukas K. hatte die Berufung gegen sein Urteil kurz vor Prozessbeginn Ende letzter Woche noch zurückgezogen. Über die Gründe dafür können wir nur spekulieren – allerdings wird die Öffentlichkeit und die Aussicht auf eine mediale Aufbereitung der Prozesse in seiner Entscheidung sicher eine Rolle gespielt haben. Lukas K. ist damit rechtskräftig wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung und Beleidung zu 8 Monaten Haft ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung verurteilt. Die anderen beiden versuchen weiterhin, dieses Urteil abzuwenden oder zu mindern
Während die Angeklagten im vorherigen Prozess im Winter 2022 schwiegen, begann der Berufungsprozess mit ausführlichen Erklärungen, die die Angeklagten bzw. ihre Vertretung vortrugen. Darin spielen sie den antisemitischen Vorfall herunter und leugnen ihre Beteiligung an den Angriffen auf den Verbindungsstudenten Philipp S. Ausgesprochen häufig geht es erneut um ein Ritual, das es in der Burschenschaft Normannia gegeben haben soll: das „Gürteln“, bei dem sich in beidseitigem Einverständnis mit Gürteln ausgepeitscht wird. So soll es nämlich auch beim Geschädigten gewesen sei, der dieses Ritual gekannt habe. Bei einigen Besucher*innen drängte sich das Gefühl auf, dass die Burschenschafter viele Aspekte ihrer Sexualität unterdrücken und anders kanalisieren müssen, um in das heteronormative Bild des „starken Mannes“ zu passen.
Auffallend war auch, dass beide Angeklagten zumindest nach außen auf Abstand zu ihren Verbindungen gehen. Luis S. erklärte für sich, dass er in keinem Verhältnis mehr zur Burschenschaft Normannia stehe, und wegen Komplikationen bei seinem Auszug aus der Burschen-Villa sogar kurz erwägt habe, rechtliche Schritte gegen sie einzuleiten. Dass Maximilian H. kürzlich aus der Burschenschaft Germania Köln ausgetreten sei, wurde durch den Vorsitzenden des Altherrenvereins, Markus K., berichtet. Als Wohnanschrift wurde für H. allerdings weiterhin die Burschenschaft Germania angegeben.
All diese Aussagen sind mit Vorsicht zu genießen: oft erhoffen sich Recht durch öffentliche Distanzierungen von ihren (ehemaligen) Strukturen ein milderes Urteil, was nicht selten funktioniert. Über die tatsächliche politische Aktivität der Angeklagten und ihre Verstrickungen in rechte Netzwerke sagt dies daher wenig aus.
Die geladenen Zeugen brachten insgesamt wenig Neues. Gunnar H., ehemaliger „Altherrenvorsitzender“ der Burschenschaft Normannia schwankte in seinen Aussagen stark hin und her, berief sich auf seinen Rausch am Tatabend und machte insgesamt nicht den Eindruck, etwas Neues zum Sachverhalt beitragen zu können oder zu wollen. Nach den Vorfällen habe er den „Convent“ einberufen, der die Auflösung der Aktivitas, die damals aus 7-8 Burschen bestanden haben soll, beschloss. Egon M. habe dieses Treffen geleitet – dieser berichtete dann im Zeugenstand dramatisch von den vielen Tränen, als die Burschen „ihr Couleur ablegen“ mussten. Egon M., CDU-Politiker und ehemaliger Polizeihauptkommissar berichtete, er habe damals umgehend den damaligen Polizeipräsidenten Baden-Württembergs kontaktiert – er beschwerte sich, nicht über die Ermittlungen informiert worden zu sein und gab an, er hätte gerne „selber ermittelt“. Das glauben wir tatsächlich gerne.
Laut Egon M. gibt es aktuell keine Aktivitas der in Cimbria umbenannten Burschenschaft – der Ruf der Struktur sei so nachhaltig zerstört, dass niemand dorthin kommen wolle. Auch die Erwartung, dass sich das öffentliche Interesse mit der Zeit lege und ein Neustart mit der Umbenennung so möglich werde, sei nicht eingetroffen.
Nachdem eine Polizeibeamtin, die bei der Hausdurchsuchung am 03.09.2020 anwesend war, ihre Aussage aus dem letzten Prozess wiederholte, saß daraufhin der Altherrenvorsitzende der Burschenschaft Germania Köln, Markus K., im Zeugenstand. Dieser bestätigte, dass Maximilian H. für den AfD-Politiker Klaus Esser im nordrhein-westfälischen Landtag gearbeitet habe. Wie wir seit einiger Zeit wissen, hat nicht nur Maximilian H. seinen Job dort verloren: auch Klaus Esser musste zurücktreten, nachdem aufflog, dass er seinen Jura-Abschluss gefälscht hatte. Um die rechte Burschenschaft Germania Köln scheint es ebenfalls nicht gut zu stehen: Lukas K., nun rechtskräftig verurteilt, belegte aus Personalmangel wohl zwischenzeitlich mehrere oder gar alle Ämter der Burschenschaft. Hoffentlich setzt sich dieser Trend fort.
Der letzte Zeuge für den ersten Prozesstag war Steffen K., ein Mitglied der „Alten Halleschen Burschenschaft Rhenania-Salingia“, der über Gunnar H. zur Feier am 28.08.2020 kam. Die Rhenania nimmt im rechtsradikalen Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ eine tragende Rolle ein, während die Kontakte zur AfD bestens geknüpft sind. Steffen K. bezeichnete die Münzwürfe auf den Geschädigten als antisemitisch motiviert. Dass der Geschädigte laut Aussage von Luis S. einer der häufigsten Gäste auf dem Haus der Burschenschaft Normannia gewesen sein soll, ist durchaus denkbar. Die „Alte Leipziger Landsmannschaft Afrania“, in der der Geschädigte Mitglied war oder ist, kann durchaus auch als rechts bezeichnet werden. Dass der ehemalige Sprecher der Burschenschaft Normannia, Kilian D., nun im Sommersemester 2024 als Mitglied der Afrania gelistet wird, zeigt, dass dort keiner ein Problem mit Rechten hat. Demant war 2019 an einem Angriff auf Verbindungsstudenten der Rupertia beteiligt, und hat laut internen Emails mehrfach – unter anderem bei einem Treffen mit der Germania Köln 2019 – „Heil Hitler“ gerufen.
Der nächste Prozesstag ist am Donnerstag um 9 Uhr am Landgericht.
Wir rufen erneut dazu auf, auch diesen Prozesstag zu beobachten!
Stellt euch auch erneut auf Kontrollen ein und seid rechtzeitig am Landgericht.